06.07.2019
Gottesdienst zur Entpflichtung von Landesbischöfin Junkermann am 6. Juli 2019 im Dom zu Magdeburg

Predigt zu Jes 55, 1-5

1 Wohlan, alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser! Und die ihr kein Geld habt, kommt her, kauft und esst! Kommt her und kauft ohne Geld und umsonst Wein und Milch!

2 Warum zählt ihr Geld dar für das, was kein Brot ist, und euren sauren Verdienst für das, was nicht satt macht? Hört doch auf mich, so werdet ihr Gutes essen und euch am Köstlichen laben.

3 Neigt eure Ohren her und kommt her zu mir! Höret, so werdet ihr leben! Ich will mit euch einen ewigen Bund schließen, euch die beständigen Gnaden Davids zu geben.

4 Siehe, ich habe ihn den Völkern zum Zeugen bestellt, zum Fürsten für sie und zum Gebieter.

5 Siehe, du wirst Völker rufen, die du nicht kennst, und Völker, die dich nicht kennen, werden zu dir laufen um des HERRN willen, deines Gottes, und des Heiligen Israels, der dich herrlich gemacht hat. (Jes 55,1-5)

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und unserm Herrn Jesus Christus. Amen.


Liebe Gemeinde!

Nun also ist er da, der Abschied. Entpflichtung und Verabschiedung, das liegt als Thema über diesem Gottesdienst.

Lange stand dieser Tag am Horizont, rückte Stück um Stück näher – und jetzt ist er da.

Vielen von Ihnen ist, wie mir, wehmütig ums Herz. Manche Gedanken und Fragen kreisen in unseren Köpfen.

Und alle sind wir auch ein wenig bang:

Wie gelingt uns ein würdiger Abschied?

Würdig, also: aufrichtig und ohne Hintergedanken; respektvoll und in geschwisterlicher Verbundenheit; mit Raum für Enttäuschung und für Erleichterung, für einen guten Blick auf eine Wegstrecke miteinander, eine Wegstrecke, die sehr dicht und gefüllt war.

Wie wird uns ein solcher Abschied gelingen?


Da kommt Gottes Wort wie gerufen.

Da ruft uns Gottes Wort, zu ihm zu kommen.

Da öffnet uns Gottes Wort den Horizont und weist uns den Weg.

Denn es ruft uns zusammen.

Es führt uns zusammen.

Um dieses Wortes willen sind wir gemeinsam unterwegs. Und, am wichtigsten: Allein Gottes Wort schließt uns eine andere Welt, anders als die, die von uns geprägt und gestaltet ist. Vielmehr eine Welt jenseits unserer Regeln und Gepflogenheiten, auch jenseits unseres Gelingens und unseres Versagens und Scheiterns. Gottes Wort öffnet uns seine Welt mit seinen Geboten: Gottes Reich.

Es ist anders als unsere Welt; allerdings nicht weit weg in ferner Zukunft oder gar einer Parallelwelt. Vielmehr bricht es mitten hinein in unsere Welt. Gerade Gottes Wort für diese Woche wird mitten in einer alltäglichen Szene laut. Wie schön! Wir haben es in der Lesung bereits gehört. Es spielt sich mitten auf einem Markt ab.

Schauen wir dorthin:


Was für ein Menschengetümmel. Markt. Orientalischer Markt. Viele strömen herbei. Das Angebot ist groß. Ein Stand neben dem andern mit seinen Waren, eine verlockender als die andere. Ein Fest der Farben und Gerüche. Verkäufer, die ihre Ware anpreisen, mit dem Preis locken, den schönen Stoff loben, wirklich frischen Fisch versprechen, die Sonne besingen, wie sie in diesen köstlichen Oliven noch zu schmecken ist.

Und da sind die Menschen, die über den Markt ziehen; die einen zögern noch, ob sie hier kaufen sollen oder doch woanders noch ein günstigeres Angebot finden. Andere feilschen mit den Händlern um den Preis. Dort wird die Ware schon gewogen und verpackt, hier der Stoff abgemessen und zugeschnitten. Menschen zählen ihre Münzen – reicht es hierfür noch? Aber Brot brauche ich auch noch! Doch dieser Stoff ist zu schön! Und der Schmuck erst!! Ihn wenigstens einmal anlegen, sehen, wie sie mir steht, die Kette.

Laut ist es und bunt, die Luft schwirrt von Stimmen und ist voller Gerüche.

Markttreiben in der Hauptstadt Babylon, mitten im Alltag...


Da ertönt mitten drin ein besonderer Ruf. Ein Marktschreier. Laut, laut ruft er: „Hoj! Hoj![1]“ – Ist das nicht der Klageruf der Fremden aus Israel? Verschleppt hierher ins Exil; als Kriegsgefangene, aber hier in Babylon relativ frei. Ja, sie sollen sich hier einleben, anpassen, integrieren! Und natürlich auch unsere Sprache lernen! „Hoj! Hoj!“! Wollen sie ihre Trauer hier auf den Markt tragen? Sie können froh sein, dass sie hier leben und sich eine Zukunft aufbauen können! Sie haben den Krieg verloren, was dachten sie auch, ein so kleines Volk, als ob es gegen den mächtigen König aus Babel mit seinen vielen Soldaten hätte gewinnen können. Ja, so ist das, Verlierer verlieren eben: ihre Heimat, viele Verwandte und Freunde, ihren Tempel, ihren Gott. Das alles können sie hier vergessen!


„Hoj! Hoj!“, so beginnt Wehklage, „Weh, oh weh!“, Wehklage der Heimatlosen, Wehklage an den Wassern von Babylon. Aber hier auf dem Markt? Da passt es nicht. Ist es nicht doch eher Aufmunterung, denn das kann das Wort auch bedeuten: „Hoj! He!“

Und so übersetzt Luther den Ruf des Marktschreiers! „Wohlan, he, alle Durstigen, kommt her zum Wasser!“

Hoj, he! In diesem einen Ruf mischen sich Trauer und Hoffnung; Hoffnung, dass der Durst gestillt wird, die Sehnsucht nach Heimat und Geborgenheit, das Heim-Weh. He, kommt her! Hier gibt’s Wasser, auch ganz konkret gegen den Durst bei dieser Hitze. Ah! wie gut: Wasser.

Und noch mehr hat dieser Marktschreier zu bieten. Auch Wein und Milch, und wohl auch Brot! Hören wir noch einmal, wie er ruft:

 „Wohlan, he, alle Durstigen, kommt her zum Wasser. Und die ihr kein Geld habt, kommt her, kauft und esst! Kommt her und kauft mit Nicht-Geld und umsonst Wein und Milch. Warum zählt ihr Geld dar für das, was kein Brot ist, und euren sauren Verdienst für das, was nicht satt macht? Hört doch auf mich, so werdet ihr Gutes essen und euch am Fett (Luther 2017: Köstlichen) laben. Neigt eure Ohren her und kommt her zu mir! Höret, so werdet ihr leben!“


Leben, das ist das entscheidende Wort, um Leben geht es; um Wasser und Brot für das alltägliche Überleben. Und um mehr, um Milch, ein Grundnahrungsmittel für Durchhalte- Kraft im Alltag. Und dazu noch obendrauf, für Festtage: Wein und Fett. Wein – in Maßen! - erfreut das sorgenvolle Herz. Und Fett – auch das in Maßen – ist der Geschmacksträger schlechthin, ist Inbegriff von beidem, von Sattwerden und von Genießen. Aufleben soll das Herz! Wieder Geschmack am Leben sollt Ihr haben!

So ruft der Marktschreier.

Und das alles: gratis. Zahlt mit Nicht-Geld! So wie Kinder, die so tun als ob. Nehmt, ohne dass Ihr dafür knechten müsst! Warum kauft Ihr mit eurem sauerverdienten Geld oder am Mund Abgesparten, was Euch doch nicht satt macht? Kommt zu mir, hört auf mich. Lasst euch geben, was Ihr zum Leben braucht: Das Notwendige und das Schöne, das Alltägliche und das Besondere; das, was Ihr braucht und das, was Euer Herzen erfreut; kurz: Alles, was Ihr zum Leben, zu einem guten Leben braucht!


Spätestens jetzt ist klar: Das ist kein gewöhnlicher Marktschreier und Händler. Das ist Gott selbst.

Ja, Gott ist ein Marktschreier! Ein Marktschreier, ein besonderer. Er stellt die Welt auf den Kopf. Ach was, vom Kopf auf die Füße stellt er diese Welt. Er verdirbt den Markt, nicht wie üblich mit Dumpingpreisen, um mit Konkurrenz das Geschäft zu beleben, d. h. den anderen vom Markt zu drängen. Nein: er verdirbt das Geschäft und den Markt von Grund auf. Er hebt die Regeln von Handel und Tausch, von Verkauf und Kauf aus den Angeln. Er stiftet Unruhe, auch Misstrauen, auch Verwirrung: Bekommt man wirklich etwas geschenkt im Leben? Muss man nicht für alles zahlen, auf die eine oder andere Art?


Liebe Gemeinde!

Dieser Gott fasziniert mich seit meiner Jugend immer wieder neu! Sein Ruf als Marktschreier gibt mir Kraft und Hoffnung, diese Aussicht, sein Angebot, diese Verheißung: Nichts bleibt wie es ist. So wie es ist, das ist noch nicht das Ende und noch nicht alles; es kommt die Zeit, in der die Träume sich erfüllen, die Träume von einer gerechten Welt, in der nicht alles sauer verdient werden muss von den einen, und die anderen den Profit einstreichen; in der die einen von den anderen profitieren, sie knechten und ausbeuten, ihr Land rauben und ihre Bodenschätze – für ein Leben in Luxus, in sinnloser Verschwendung, für ein Leben, so verschwenderisch, dass es krank macht, und die Luft verpestet und die Meere voller Müll.

Aus dieser Welt mit ihren scheinbar unerschütterlichen Gesetzmäßigkeiten und Regeln ruft der Marktschreier-Gott heraus. Er bürstet ihre Logik gegen den Strich. Denn alle sollen das Notwendige zum Überleben haben – und das Schöne für ein gutes Leben. Dafür gibt er sein Wort.


So ist das Hören auf ihn, der Glaube an ihn kein rosaroter Zuckerguss auf die Verhältnisse, wie sie eben sind und mehr oder weniger hingenommen werden müssen. Vielmehr: Radikal anders wird die Welt. Er gibt und will nichts dafür! Er ruft und lockt und wirbt.

So ist er uns Vorbild, so gehen wir auf den Markt, locken und rufen um Vertrauen auf diesen Gott und seine Gaben und Gebote. So lassen wir nicht jenen das letzte Wort, die auf Ausbeutung und auf Hass und Gewalt setzen, auf Sieg und Herrschaft first.

Ich halte inne und denke an alle, die heute in Themar besonders für die Logik der Liebe und Achtung der Würde aller einstehen und Zeichen setzen.

Ja, wir hören gemeinsam auf diesen lockenden Marktschreier-Gott, auf ihn, der uns diese andere Welt des Respekts öffnet, in der es gerecht zugeht; der der genug für alle da ist und dieses Genug gerecht verteilt und nicht durch Handelsgeschäfte zerstört wird.


Allerdings, das lasst uns nie (wieder) vergessen: Wir sind in diesen neuen Lebensbund hineingenommen durch Gottes Volk Israel. Diesem Volk gilt bleibend die Zusage:

 „Ich will mit euch einen ewigen Bund schließen, euch die beständigen Gnaden Davids zu geben. 4 Siehe, ich habe ihn den Völkern zum Zeugen bestellt, zum Fürsten für sie und zum Gebieter. 5 Siehe, du wirst Völker rufen, die du nicht kennst, und Völker, die dich nicht kennen, werden zu dir laufen um des HERRN willen, deines Gottes, und des Heiligen Israels, der dich herrlich gemacht hat.“


Nur ein kleiner Teil der Exilierten hat sich damals rufen lassen, zurück zu kehren, die Stadt Jerusalem und den Tempel wieder aufzubauen. Mühsam und enttäuschend war es – und doch: Ohne diese Minderheit hätte das Volk Israel nicht überlebt. Und ohne diesen neuen Bund, den Gott mit ihnen und den sie mit Gott geschlossen haben, wären wir aus den Völkern nicht mit hineingenommen, durch Jesus, den Juden. Ohne sie wüssten wir nichts von Gottes Lockruf, dem Lockruf zu einem guten Leben nach seinen Geboten, die darauf zielen, dass es für alle gerecht zugeht.

Allein durch sein Volk sind wir Teil dieser Hörgemeinschaft und dieser Hoffnungsgemeinschaft für eine gerechte Welt.

Allein sein Wort schließt uns diese andere Welt auf. Im Dienst dieser Welt stehen, das gibt meinem Leben Sinn, Sinn jenseits aller meiner Erfolge und meines Versagens und der Erfolge und des Versagens anderer. Und dieser gemeinsame Dienst hat uns in diesen 10 Jahren vielfältig verbunden –und verbindet uns weiter, wenn nun auch gewiss anders als bisher.


So höre ich auf dieses Wort! So hören wir gemeinsam, gerade heute. Und stellen uns in diesen Verheißungsbogen. Wenden uns ab von der Logik des Verdienen-Müssens, des Rechnens oder gar Abrechnens und lassen uns beschenken. Und bleiben nicht bei uns und dem, was uns bange macht, lassen uns vielmehr neu in die Hör- und Hoffnungsgemeinschaft rufen und uns von diesem Marktschreier-Gott anrühren in Herz und Mut und Sinn und unsere Sehnsucht stärken.


Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserm Herrn.

Amen.

[1] oder: He! (Weh!)


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