10.06.2019
Predigt von Christhard Wagner zum Ökumenischer Gottesdienst am Pfingstmontag, 10.6.19 auf der ega Erfurt.

Predigttext: Genesis 1,26-31

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!“

Liebe Schwestern und Brüder!

Damit sie sich schon mal einrichten können:
Meine Predigt ist dreigeteilt. Da wissen Sie also immer, wie weit wir sind.
Dreimal geht es um das Sehen.

 Ich sehe was, was du nicht siehst.
 Da kann ich doch gar nicht mehr hingucken.
 Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.

Also zum Ersten:
Kennen sie noch das Spiel: Ich sehe was, was du nicht siehst? Ich habe es als Kind und als Vater sehr gern gespielt.
Wir sollten es wieder öfter spielen: Erstens macht es Spaß. Und wir lernen, wieder genauer hinzusehen. Wer in diesen Tagen von seinem Smartphone aufblickt und sich umschaut, der könnte ins Staunen und Jubeln kommen.

Ich sehe was, was du nicht siehst: ich sehe diesen wunderbaren Frühling hier auf der ega kurz vor ihrer Bugawerdung .

„Narzissus und die Tulipan, die ziehen sich viel schöner an als Salomonis Seide.  Die Amsel schwingt sich in die Luft, das Täublein fliegt aus seiner Kluft und macht sich in die Wälder, die hochbegabte Nachtigall ergötzt und füllt mit ihrem Schall Berg, Hügel, Tal und Felder…“

Ist es nicht herrlich? Dieses Wunder der Schöpfung! Und wem haben wir dies zu verdanken?

Wir haben vorhin in der Schöpfungsgeschichte gehört, wie Gott am 6. Schöpfungstag spricht:
„Seht, ich habe euch gegeben alle Pflanzen, die Samen bringen, auf der ganzen Erde, und alle Bäume mit Früchten, die Samen bringen – zu eurer Speise.“  
Nur so nebenbei: auf diesem Speisezettel der Bibel tauchen noch keine Tiere auf…
Ich sehe was, was du nicht siehst.

Kann man dieses Wunder der Schöpfung übersehen?
Ja. Dazu gibt es auch ein Sprichwort: Wir sehen den Wald vor lauter Bäumen nicht.  Kein Auge für die Schöpfung – kein Auge für den Schöpfer. Ja so kann‘s einem gehen.

Selig, ja glücklich können dagegen die sein, die das Wunder der Schöpfung sehen.
Aber selbst wenn wir etwas sehen, können wir es oft nicht erfassen.

Nehmen wir an, sie haben auf dem Weg hierher die Blüte einer wunderschönen Rose gesehen.
Die einen von Ihnen haben vielleicht gesagt: die Rosenzüchter haben das toll hinbekommen.
Die anderen: die evolutionäre Vielfalt der Biologie ist notwendig und bringt interessante Varianten hervor.
Und dann finden sich solche Menschen, die sagen: Wie wunderbar hat unser Schöpfer diese Rose geschaffen. Es war ihm ein Vergnügen. Den Bienen zur Nahrung und uns zur Freude.

Ich sehe was, was du auch siehst. Und das ist wunderschön. Auch Gott sieht das so: „und siehe, es war sehr gut.“

Deshalb sollten wir unserem Schöpfer gemeinsam danken, ihn loben und preisen. Am besten mit einem Lied: Lasst uns miteinander, lasst uns miteinander singen, spielen, loben den Herrn!

LIED

Ein zweiter Gedanke:
Da kann ich doch gar nicht mehr hingucken!

So höre ich es immer wieder, wenn im Fernsehen eine Dokumentation über Massentierhaltung oder Tiertransporte gezeigt worden ist.
Ich will uns nicht den schönen Tag verderben, aber wir kommen nicht daran vorbei.  Wir können nicht wegschauen.

Die Tiere und die Menschen – beide werden gemeinsam am 6. Schöpfungstag von Gott geschaffen. Und am Ende des Tages – wir erinnern uns - schaut Gott auf sein Werk und sagt zu Recht: „Und siehe, es war sehr gut.“


Und dann lesen wir Vers 28:“ herrscht über die Fische im Meer und über die Vögel und alles Getier.“
Und genau an dieser Stelle ist etwas fürchterlich schief gegangen.
Wir haben das mit dem Herrschen missverstanden. Es ist mitnichten ein Freibrief für das, was wir heute unseren Mitgeschöpfen antun.
Gott hat niemals seine Geschöpfe dafür geschaffen, damit sie in Tierproduktionsanlagen ein kurzes gequältes Leben lang leiden.

Gott schaut am 6. Schöpfungstag auf all seine Geschöpfe.  Und sieht er sieht zufrieden: es war sehr gut.
Und was sieht er heute? Nichts ist gut in der Massentierhaltung.

Allein in Deutschland werden jährlich 745 Millionen Tiere getötet. Wer hinsieht, weiß, wie ihr kurzes Leben davor aussieht.
Die Tierproduktion- allein der Name ist bezeichnend, versündigt sich nicht allein am Tier: Gülle verseucht unser Grundwasser. Regenwälder werden für Tierfutter gerodet. Pestizide lassen Insekten, Bienen, Vögel sterben.

Da kann man doch nicht mehr hinsehen! Ja, am liebsten möchten wir wegsehen.  Aber nicht aus Mitleid.
Mitleid, das ohne Folgen bleibt, ist kein wirkliches Mitleid. Wir weinen Krokodilstränen. Nichts gegen Krokodile.
Warum wollen wir nicht die schlimmen Bilder sehen? Weil wir ansonsten ein Problem an der Fleischtheke mit unserem Gewissen bekommen.

Luther ist sich übrigens sicher, dass auch Tiere in den Himmel kommen. Es waren ja auch nur die Menschen, die aus dem Paradies vertrieben wurden. So sagt er: Gott wird eine neue Welt schaffen, wie auch neue Tölpel (so hieß sein Hund), dessen Haut wird gülden und dessen Haare von Edelsteinen sein…“

Es sollte uns zu denken geben, wenn uns bewusst wird, wem wir im Himmel so alles begegnen werden.


Ein dritter und letzter Gedanke

„Man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“

Der Spruch steht zwar nicht in der Bibel, sondern im kleinen Prinz von Antoine de Saint- Exupéry, könnte aber genauso gut drin stehen.

Der Heilige Franz von Assisi war ein ganz besonderer Mensch. Er konnte mit dem Herzen sehen. Für ihn waren deshalb Tiere völlig selbstverständlich Mitgeschöpfe, mit gleicher Würde und in gleicher Beziehung zu Gott.

Deshalb predigte er unter anderem auch den Vögeln:

„Meine Geschwister, ihr Vögel, ihr seid Gott, eurem Schöpfer sehr verbunden, deshalb sollt ihr ihn immerdar und überall lobpreisen; denn er hat euch doppelt und dreifach gekleidet; auch hat er euch die Freiheit verliehen, überall hin zu fliegen; und auch hat er euren Samen in der Arche Noah bewahrt, damit eure Art nicht aussterbe auf der Welt. Ihr seid ihm aber auch verpflichtet, weil er euch das Element der Luft zugedacht hat. Ihr säet nicht und ihr erntet nicht, und Gott nähret euch doch und gibt euch Flüsse und Quellen für euren Durst; er gibt euch Berge und Täler zu eurer Wohnstatt und hohe Bäume, eure Nester darin zu bauen. Und obgleich ihr weder spinnen noch nähen könnt, kleidet Gott euch und eure Kinder; so sehr liebt euch der Schöpfer, daß er euch so viel Gutes erweist. Daher hütet euch also, meine Geschwister, vor der Sünde der Undankbarkeit, vielmehr befleißigt euch immer, Gott zu loben.”

Viele von uns können dem Heiligen Franziskus nachfühlen, wenn wir an unsere Katzen und Hunde denken. Sie gehören zur Familie. Wir sprechen mit ihnen. Sie verstehen uns, sie trösten uns, sie erleichtern unsere Einsamkeit und bringen uns auf Trab.

Haustiere sind wichtig für uns Menschen. Deshalb geben wir in Deutschland gerne 9 Mrd. Euro für sie aus. Weil sie Mitgeschöpfe sind. Weil sie Glück und Leid, Schmerzen und Freude empfinden. Weil sie mit uns leben. Weil wir Alles für sie tun. Da sind wir uns einig.

Und worin besteht nun der Unterschied zum Rind oder zum Schwein? Wir wissen es genau. Es besteht kein Unterschied. Eine Kuh spürt den Schmerz wie die Katze, das Huhn ist so sensibel wie das Meerschwein, das Schwein so klug wie der Hund.  Es gibt auch deshalb keinen vernünftigen Grund, eine Unterscheidung vorzunehmen.
Und auch Gott schaut alle seine Geschöpfe gleichermaßen an und sieht: es war sehr gut.
Wir dagegen unterscheiden. Die einen liegen unter dem Tisch und die anderen auf dem Teller.

Auch Albert Schweitzer konnte mit dem Herzen sehen. Ihn verehre ich von Kindheit an. Seither ist tief in meiner Erinnerung, dass er beim Setzen der Pfähle für die Hütten im Urwald von Lambarene vorher die Würmer und anderes Getier aus der Grube holte, damit sie nicht zerdrückt werden. Von diesem Albert Schweitzer stammt der zutiefst weise Satz:
„Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das auch leben will.“ Das Motto des Gottesdienstes nimmt diese Intention auf: „Leben mit und füreinander.“
Franziskus von Assisi und Albert Schweitzer folgten in ihrem Einsatz für alle Geschöpfe unserem Herrn Jesus Christus.
Von ihm können wir an verschiedenen Stellen lesen: „… und es jammerte ihn“.
Damit ist nicht das Jammern gemeint, das wir als Ossis ja angeblich so gut können, sondern das Wort meint mehr – „ganz und gar ergriffen sein – bis in die Eingeweide…“

Auch Jesus sieht mit dem Herzen. Er sieht das offene und das verdeckte Leid. Er empfindet den Schmerz mit. Es jammert ihn. Er schaut nicht weg. Sondern er solidarisiert sich mit denen, die laut oder leise klagen. Er protestiert. Tröstet. Heilt.

Wir sind nicht Jesus. Aber wir können seine Handlanger, sein Team sein. Wir können für Gottes Geschöpfe eintreten. Im Kleinen und im Großen. Jeder nach seinen Möglichkeiten.

Liebe Gemeinde, „Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“
Wer mit dem Herzen sieht, sieht zuerst den Glanz der Schöpfung. Sieht das Wunder und lobt Gott. Sieht, wie wir Menschen drauf und dran sind, sie endgültig zu zerstören.

Wer mit dem Herzen sieht, sieht die Geschöpfe Gottes, Mensch und Tier, die gleichermaßen geschaffen sind, um in Würde zu leben.

Wer mit dem Herzen sieht, den jammert es. Und er belässt es nicht dabei.
Er faltet die Hände. Und wird konkret. Und geht los.
Dem Schöpfer zur Ehre und der Schöpfung zur Hilfe.

Dazu helfe uns Gott. Amen


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