Doppelte Welten: online und offline
Im Urlaub traf ich einen Schulfreund. Er erzählte, dass sie die Hochzeit seines Sohnes gefeiert hätten: zusammen mit Freunden, die sein Sohn noch nie persönlich getroffen hatte, sondern nur im Netz. Zuerst über die Spielkonsole, wo sie in den Chaträumen auch viel über Privates sprachen und schrieben. Für mich war es überraschend zu erfahren, dass es tatsächlich stabile Freundschaften im Netz gibt, die über Jahre tragen, obwohl man sich nie von Angesicht zu Angesicht getroffen hat, sondern nur virtuell. Gleichzeitig war ich dankbar zu hören, dass nun, da seine Hochzeitsfeier ansteht, sie sich entschlossen hatten, zusammenzukommen. Wir leben eben heute in einer doppelten Welt: in einer analogen, direkten Welt mit Menschen, die uns mögen oder weniger mögen, aber auch in einer virtuellen Welt, wo wir den anderen nicht sehen müssen.
Glaube aber lebt von der Begegnung, von der Gemeinschaft, vom miteinander essen und trinken, vom miteinander sprechen und teilen – die Not und die Freuden. Aber tatsächlich entwickelt sich auch im Netz so etwas wie eine Gemeinschaft, eine andere Form des Zusammenseins, des Miteinander-Teilens, ohne dass man an einem Tisch oder in einem Raum sitzt. Wohin sich das entwickelt, wissen wir nicht. Ich persönlich glaube und hoffe, dass die analoge, die unmittelbare Begegnung mit Menschen entscheidend bleibt, auch in Krisensituationen. Denn ich bin mir auch sicher, dass Gott uns ja zu seinem Bilde geschaffen hat. Das heißt auch, dass wir einander anschauen und ansehen und in unserem Nächsten, in einem anderen Menschen das Gesicht Gottes erkennen.
Johann Schneider, evangelischer Regionalbischof aus Halle