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29.11.2019
Die gute Seele

Es wird jeden Tag eine Minute eher dunkel und frühmorgens eine Minute später hell. Meist ist es jetzt düster, diesig und dumpf. Das hat mich dieser Tage an meine Zeit im Internat vor 40 Jahren denken lassen. Gebrüll hielt man da für den guten Ton. Drei Jahre war ich da. Geweckt wurde Punkt 6 Uhr. Eine Erzieherin riss die Tür auf, knipste die Deckenlampe an und rief gleichzeitig: Aufstehen.

In dieser Jahreszeit, wo es frühmorgens stockdunkel war, zog ich die Decke über den Kopf und habe die Augen nicht aufgekriegt. Furchtbar, so in den Tag gestoßen zu werden. Darüber habe ich einmal mit einem Rentner gesprochen, der manchmal als Erzieher ausgeholfen hat.

Er machte von da an, wenn er Weckdienst hatte, leise die Tür auf, kam zu mir ans Bett, berührte sachte meinen Arm und sagte: „Du musst aufwachen. Ich lasse das Licht aus. Aber ich verlasse mich auf dich, du stehst gleich auf, nicht wahr?“ Ich habe ihn nie enttäuscht. Ein anderer Erzieher hätte beim zweiten Weckgang entdecken können, dass das Licht nicht an war und es ihm in die Schuhe geschoben.

An die Tage, an denen er Weckdienst hatte, konnte ich mich noch nach Monaten erinnern, daran, wie das Zimmer im Dämmerlicht aussah, ob es stürmisch war draußen oder sich Eisblumen am Fenster gebildet hatten.

Ich weiß nicht mehr, wie er hieß. Aber ich werde diese Seele von Mensch, der mir geholfen hat, damit ich in dieser dunklen Zeit sanft, sicher und selbstbestimmt in den Tag kam, nie vergessen. Was wäre die Welt ohne diese guten Seelen mit ihrem leisen Mut, fragt sich

Ralf-Uwe Beck, evangelisch und aus Eisenach.


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