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29.03.2021
Erlöst

‚Schwester Silvia‘ stand auf ihrem Schild. Ich kannte sie nicht, ich wusste nur, sie war die Zahnarzthelferin, die hier für Prophylaxe zuständig ist. Sie saß auf ihrem Drehhocker und weinte. Es war meine erste Begegnung mit ihr. Ich hatte den Raum gerade betreten und sah ihre verweinten Augen. Ich dachte, ihr muss grad was ganz Schlimmes widerfahren sein. 

Entschuldigen sie, sagte sie. Aber meine Chefin hat mich grad so runtergemacht. Und das nur, weil dieser blöde Hocker kaputt ist. Meine Chefin sagt, das sei meine Schuld, weil ich nun mal viel zu dick sei. 

Mir verschlug es kurz die Sprache. Mir tat diese Frau so sehr leid und ich dachte, selbst, wenn es stimmt, so was sagt man einfach nicht.

Schwester Silvia kamen die Tränen und ich wusste nicht, was ich machen sollte. Ich war zur Prophylaxe angemeldet. Ich hatte mit allem gerechnet, mit kritischen Fragen zum Gesundheitszustand meiner Zähne. Mit einer harschen Erinnerung daran, dass man Zähne morgens und abends richtig putzt, mit allem hatte ich gerechnet, aber nicht mit diesen Tränen. 

Wissen sie, sagte ich. Mag sein, der Hocker nun kaputt ist, aber sie sind doch auch mehr als Ihr Hocker. Ich bin doch auch mehr als meine Karies. Und da hat sie plötzlich gelacht. Wir beide haben herzlich gelacht. 

Ja, ich glaube an Gott. An einen Gott, der mehr in uns Menschen sieht als das, was durch uns kaputt gegangen ist.  

Einen guten Tag wünscht Ihnen Kristin Jahn, evangelisch und Superintendentin im Kirchenkreis Altenburger Land 


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