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09.03.2021
Geh hin in Frieden

Es war vielleicht dieser eine Moment, als die Krankenschwester an sein Bett kam und ihn fragte, ob er vielleicht die Klinikseelsorgerin sprechen wolle, da ahnte er, dass es wirklich ernst ist.

Klar wollte er. Außerdem: Es darf ja sonst niemand kommen.

Die zierliche blonde Frau tritt ins Zimmer, zieht kurz die Maske von Gesicht, dass er ihr Lächeln sehen kann, nimmt sich einen Stuhl und setzt sich ans Bett.

Wo soll er anfangen? Am Anfang. Pommern. Krieg. Der eisige Januar. Die Mutter sagt: Schnell, die Russen kommt. Und er findet seinen Teddy nicht. Alles sprudelt aus ihm heraus. Wie sie gelaufen sind, wie sie mit Gabeln Wurzel aus dem steinharten Boden gegraben haben, um wenigstens etwas zu essen.

Er weiß nicht, warum er das erzählt, das hat er noch niemandem erzählt. Aber Krisenzeiten reißen alte Wunden auf.

Dann erzählt er von seinem guten Leben, der großen Familie, und dass sie alle in der Nähe wohnen. Von seiner lieben Frau und dass sie viel zu früh gestorben ist.

Ob sie mit ihm beten kann, fragt er. Sie kann. Dankt Gott für das ereignisreiche Leben, alles Gute, das er gehabt hat, die Familie. Dann das Vaterunser. Er hat einen Kloß im Hals. Dann rollen Tränen.

Sie spricht den Segen. „Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und schenke dir Frieden.“

Lange klingt das nach, da ist es schon dunkel.

Er faltet seine Hände und schläft ein. Für immer.

Gott, nimm ihn auf in dein Reich.

Ulrike Greim, Weimar, Evangelische Kirche.


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