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28.08.2023
Tag der Russlanddeutschen

So ein Buch habe ich noch nie gesehen. Immer wieder zusammen geflickt, den Einband von Hand genäht, mehrfach. Völlig zerlesen. Es ist die Bibel von Paulina. Ich halte sie ehrfürchtig in der Hand. Aus einer anderen Welt und einer anderen Zeit kam Paulina als alte Frau nach Deutschland. Ihr eigenes Haus in Sibirien hatte sie verkauft und fühlte sich reich. Doch es war weniger Geld, als ihre monatliche deutsche Sozialrente.
Das Leben in Sibirien war hart. War einer krank, musste er sich selbst helfen. Paulina kannte alle Kräuter dafür. Die Bibel war ein Schatz. Sie wurde heimlich unter dem Mantel bewahrt bei der Deportation, immer wieder zusammengenäht und gelesen, bis sie sie fast auswendig konnte.
Den alten Glauben zu pflegen, war lange verboten. „Keinem was erzählen, ich gehe jetzt beten.“ So trafen sich die Frauen und blieben treu. Man rief sie deutsche Faschisten. Einfacher wäre gewesen, zu vergessen, wer sie waren. Ein kleines Lesezeichen in der alten Bibel hat sie markiert, dass man es nur ja schnell wiederfindet, wenn man diese Zusage braucht. Vom Apostel Paulus: Wir überwinden jede Not durch die Liebe Gottes.
Und dann trat sie die Reise an, über 6000 Kilometer ins gelobte Land. Sie sah alte Frauen, die Hosen trugen. Und keine trug ein Kopftuch. Die Kirchen waren sauber, aber niemand ging hin. „Das ist kein Deutschland!“, hat sie gesagt. „Keiner weiß, wie man richtig betet.“
Heute ist Tag der Russlanddeutschen. Ich finde, wir sollten ihre Geschichten hören.
Gregor Heidbrink, evangelisch aus Apolda


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