20.09.2005
Die Bischöfe der Kirchenprovinz Sachsen

Während die meisten evangelischen Landeskirchen in Deutschland nach dem 1. Weltkrieg bereits Bischöfe oder Kirchenpräsidenten erhielten (Stichwort: Auflösung des landesherrlichen Kirchenregiments), bekam die Kirchenprovinz Sachsen erst 1947 ihren eigenen Bischof.

Ursache: Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges war die Kirchenprovinz Sachsen keine eigenständige Landeskirche, sondern Bestandteil der "Evangelischen Kirche der altpreußischen Union". Nach 1945 wurde die Altpreußische Union aufgelöst, die Kirchenprovinz Sachsen wurde selbständige Kirche und erhielt ihren ersten Bischof: den 64-jährigen Pfarrerssohn Ludolf Müller.

 

Ludolf Müller - Bischof der Kirchenprovinz Sachsen 1947 - 1955

 

Ludolf Müller war bereits 64 Jahre alt, als er das neugeschaffene Amt des Bischofs der Kirchenprovinz Sachsen übernahm. Geboren 1882 als Pfarrerssohn in Kalbe/Milde, hatte Müller sich bereits 1917 als Pfarrer nach Westpreußen berufen lassen und hier für die deutschen Belange eingesetzt. Das führte zur Ausweisung aus Polen.

In der Zeit des Nationalsozialismus hatte er – selbst Mitglied des Provinzialbruderrates der Bekennenden Kirche – sich den kirchenfeindlichen Maßnahmen des Regimes mutig widersetzt und die Arbeit der Bekennenden Kirche in der Provinz Sachsen geprägt. Obwohl er zeitweilig vom Dienst suspendiert war, einmal auch kurz inhaftiert wurde, hat er als Superintendent vom Eichsfeld aus für den Zusammenhalt der bekenntnistreuen Gemeinden gesorgt.

Unmittelbar nach dem Ende des II. Weltkrieges galt es, die Evangelische Kirche in der Provinz Sachsen – nach der Zerschlagung des Freistaates Preußen – wieder handlungsfähig zu machen. Müller war der geeignete Mann, um die schwierigen Verhandlungen zunächst mit der amerikanischen, dann mit der sowjetischen Besatzungsmacht zu führen und zugleich innerkirchlich eine Erneuerung zu bewirken. Gestützt auf tatkräftige Mitglieder der Bekennenden Kirche, war er doch bemüht, auch Persönlichkeiten der „Mitte“ zu integrieren. Die Entnazifizierung in der Kirche wurde eigenverantwortlich, aber nicht radikal durchgeführt. Bei der Bildung einer Vorläufigen Kirchenleitung in Magdeburg übernahm er den Vorsitz und wurde Präses der neuen Provinzialsynode. Diese berief ihn 1947 zum Bischof.

Die nötigen Verhandlungen mit den neuen Landesregierungen von Sachsen-Anhalt und Thüringen begannen zunächst in verständnisvoll-wechselseitigem Respekt, wurden aber zunehmend belastet durch den wachsenden politischen Druck des SED-Regimes in der SBZ und seit der Gründung der DDR 1949. Ludolf Müller hat sich nachhaltig für demokratische Prinzipien bei den Wahlen, für die Eigenständigkeit der kirchlichen Verkündigung und gegen die wirtschaftliche Belastung des Bauernstandes eingesetzt. Während des radikal antikirchlichen Kurses der DDR 1952/53 (Verfolgung von Junger Gemeinde und Studentengemeinde, Beschlagnahmung der großen diakonischen Einrichtungen in Neinstedt und Magdeburg, Inhaftierung von kirchlichen Mitarbeitern) musste er erleben, dass die Kirchen in der DDR solche Gewaltmaßnahmen nicht verhindern konnten. Wachsam verfolgte er dann die Einhaltung der Zusagen, die am 10. Juni 1953 als Zeichen des „Neuen Kurses“ von der Staatsführung gemacht worden waren. 1955 in den Ruhestand getreten, ist Ludolf Müller 1959 in Magdeburg gestorben.
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Johannes Jänicke - Bischof der Kirchenprovinz Sachsen 1955 – 1968

 

Die Jahre, in denen Johannes Jänicke das Bischofsamt in Magdeburg innehatte, sind durch eine lange Reihe von Konflikten geprägt, die in dem religionsfeindlichen Kurs der SED und in der Abschottung des DDR-Staates gegenüber dem Westen ihre Wurzel hatten. Johannes Jänicke hat in dieser Zeit konsequent an der Zusammenarbeit mit den westlichen Gliedkirchen der EKD und der Evangelischen Kirche der Union festgehalten. Auf die aggressive Einführung der Jugendweihe antwortete er, gemeinsam mit Synode und Kirchenleitung der Kirchenprovinz Sachsen, mit dem Bemühen um eine geistliche Erneuerung der Konfirmation – freilich ohne den Zusammenbruch der volkskirchlichen Konfirmationssitte hindern zu können. Engagiert setzte er sich für die Berücksichtigung der Wehrdienstverweigerung ein, die in der Aufstellung der Baueinheiten innerhalb der Nationalen Volksarmee eine gewisse Berücksichtigung fand. Als Vorsitzender einer Arbeitsgruppe sorgte er für die Erstellung der „Handreichung zum Friedensdienst der Kirche“ (1966), ein wegweisendes Dokument für die Soldatenseelsorge in der DDR. Gegen die Zwangskollektivierung in der Landwirtschaft und die Ausweisung von Bürgern aus den Sperrgebieten an der innerdeutschen Grenze hat er mehrfach protestiert – wie auch gegen die Schüsse an der Mauer.

Durch die Spiritualität seines Leitungsstils und mit seinen volksmissionarisch wirkungsvollen Predigten hat Bischof Jänicke zum Zusammenhalt der Kirchenprovinz Sachsen wesentlich beigetragen. Aufgewachsen in einem pietistisch geprägten, sozial hochengagierten Elternhaus in Berlin (sein Vater war Prediger in der Berliner Stadtmission), kam Jänicke nach der theologischen Ausbildung und ersten Pfarrdiensteinsätzen bereits 1929 an die Ulrichskirche in Halle. 1935 übernahm er die Pfarrstelle in Palmnicken /Ostpreußen, die er – unterbrochen durch Einsätze als Soldat – bis zur Ausweisung 1947 betreute. Mitglied der Bekennenden Kirche seit 1934, leitete er 1940 bis 1943 den ostpreußischen Bruderrat der Bekennenden Kirche. 1949 wurde er zum Propst in Halle-Merseburg berufen. Halle blieb und wurde sein Wohnsitz auch im Ruhestand. Bei seinem Tode 1979 im Alter von 79 Jahren schrieb die Kirchenleitung Magdeburg: „Wir verlieren in ihm einen geistlichen Vater.“
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Werner Krusche (1968 - 1983) - Krusche setzte besondere Zeichen bei der Aussöhnung der Deutschen mit den Völkern der Ex-Sowjetunion

 

Mit seinen Predigten, zahlreichen Vorträgen und öffentlichen Erklärungen prägte Werner Krusche in seiner Zeit als Bischof das Selbstverständnis der evangelischen Kirchen in der DDR. Von 1968 bis 1983 hatte er in der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen dieses Amt inne. Zu Beginn der 70er Jahre stand Krusches Begriff der "ideologischen Diaspora" stellvertretend für die Situation der Christen und Kirchen in der DDR-Gesellschaft. Das Verhältnis der Kirchen zum sozialistischen Staat umschrieb er wiederholt mit "kritischer Solidarität".

Eine wichtige Rolle spielte Krusche auch bei der Aussöhnung der Deutschen mit den Völkern der ehemaligen Sowjetunion. Im Jahre 1984 verursachte er eine lebhafte Diskussion dazu auf einem friedenspolitischen Kongress der Evangelischen Kirche in Deutschland. Er forderte die Kirchen in Ost- und Westdeutschland dazu auf, ein Schuldbekenntnis zu formulieren gegenüber den Menschen in der Sowjetunion, die im Zweiten Weltkrieg über 20 Millionen Tote zu beklagen hatten.

Durch zahlreiche Buchveröffentlichungen, Vorträge und Zeitschriftenaufsätze konnte sich Krusche einen Namen machen über die kirchlichen und staatlichen Grenzen hinweg. Sein Thema waren oft die Aufgaben der Christen und Kirchen in der atheistisch geprägten DDR-Gesellschaft. Werner Krusche geriet oft in Auseinandersetzungen mit der SED-Führung, da er sehr engagiert eintrat für die Belange der Schwachen und Benachteiligten sowie auf eigenständiges und eigenverantwortliches Arbeiten der Kirchen pochte. Sein konsequentes Friedensengagement war ebenso ein Dorn im Auge der SED.

Krusche wurde 1917 im sächsischen Lauter geboren und wuchs in Schlesien auf. Nach Kriegsende studierte er Theologie in Leipzig, Heidelberg, Göttingen und Basel. Ab 1949 war er als Assistent an der Heidelberger Universität tätig. Auf Bitten der sächsischen Kirchenleitung wechselte Krusche 1954 als Pfarrer nach Dresden. Die Kirchenprovinz berief ihn 1968 in das Magdeburger Bischofsamt. In seine dortige Amtszeit fielen die Gründung des DDR-Kirchenbundes sowie das Spitzengespräch mit SED-Staats- und Parteichef Erich Honecker am 6. März 1978, an dem Krusche als stellvertretender Vorstandsvorsitzender teilnahm. 1981 trat er die Nachfolge des Ost-Berliner Bischofs Albrecht Schönherr als Kirchenbundvorsitzender an, das er bis zu seinem Ruhestand 1983 bekleidete.

Silke Nenzel, April 2005
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Christoph Demke (1983 - 1997) - Theologe führte Verhandlungen für Wiederbeitritt der ostdeutschen Kirchen zur EKD

 

Von 1983 bis 1997 stand Christoph Demke an der Spitze der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen. Daneben war er von 1990 an Vorsitzender der Konferenz der Kirchenleitungen des Bundes evangelischer Kirchen in der DDR und leitete diesen Bund bis zu dessen Auflösung im Sommer 1991. Für das Lutherjahr 1983 in der DDR war er Sekretär des Kirchlichen Lutherkomitees. Als letzter Vorsitzende der Konferenz der Kirchenleitungen führte er im Januar 1990 die Loccumer Gespräche mit, die zum erneuten Zusammenschluss der evangelischen Landeskirchen in Ost- und Westdeutschland zur gemeinsamen Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) führten.

Kritisch begleitete der Bischof der Wendezeit den deutschen Einigungsprozess. Wiederholt forderte er, dass die Erfahrungen der Ostdeutschen in die politischen und kirchlichen Neuregelungen einfliessen mögen. Eine schnelle Übernahme von westdeutschen Regelungen hielt Demke nicht für ratsam, da er negative soziale und wirtschaftliche Folgen für Ostdeutschland befürchtete. 

In seinen zahlreichen Aufsätzen und Vorträgen beschäftigte sich Demke mit aktuellen Fragen zu Kirche und Gesellschaft. So hielt er es für wichtig, dass die Kirche die Arbeitswelt im Blick behalte und ihrem sozialen Auftrag entspreche. Erfahrungen aus der Vergangenheit sollten Demkes Ansicht nach nicht außer Acht gelassen werden bei der Suche nach neuen Wegen. Sein Brief an die kirchlichen Mitarbeiter in der Vorwendezeit August 1989 "Fragen nach der Wirklichkeit" hatte weit über die Kirchenprovinz hinaus Menschen ermutigt und gestärkt.

Christoph Demke wurde 1935 in Bunzlau/ Schlesien, dem heutigen Boleslaviec, geboren. Von 1953-1958 studierte er an der Humboldt- Universität im damaligen Ost-Berlin Theologie. Seine Promotion schloss Demke 1962 an der Kirchlichen Hochschule Berlin-Zehlendorf (West) ab. Nach dem Bau der Berliner Mauer 1961 beteiligte er sich an dem Aufbau der kircheneigenen Theologischen Hochschule in Berlin (DDR), dem Evangelischen Sprachenkonvikt. Zunächst arbeitete der Theologe als Vikar und Pfarrer. 1964 wurde er an das Sprachenkonvikt als Dozent für das Fach "Neues Testament" berufen. Von 1975 an arbeitete er nebenamtlich und ab 1977 hauptamtlich als Sekretär der Theologischen Kommission im Sekretariat des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR. Er wurde 1981 zum Leiter dieses Bundes befördert und arbeitete in diesem Amt bis zu seinem Antritt als Bischof 1983 in Magdeburg.

Silke Nenzel, April 2005
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Axel Noack (1997 - 2009) - Engagiert für die Vereinigung der Kirchenprovinz Sachsen mit der Thüringer Landeskirche zur EKM

Axel Noack wurde am 8. November 1949 in Biesnitz in Sachsen geboren. Kindheit und Jugend verbrachte er in Halle/Saale. Von 1969 bis 1975 studierte Axel Noack Evangelische Theologie am Kirchlichen Oberseminar in Naumburg/Saale. Sein Vikariat absolvierte er in Merseburg und Leuna. 1971 heiratete Axel Noack die Theologin Gisela Noack. Die beiden haben drei Kinder.

Am 31. Oktober 1978 wurde Axel Noack zum Pfarrer durch Propst Walter Müncker in Halle/Saale ordiniert. Von 1979 bis 1984 war er Studentenpfarrer in Merseburg, von 1985 bis 1997 Gemeindepfarrer in Wolfen. Seit dem 5. Juli 1997 ist Axel Noack Bischof der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen. Außerdem ist er Inhaber der 1. Pfarrstelle am Dom St. Mauritius und St. Katharina zu Magdeburg. Seit 1991 ist Axel Noack Mitglied der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Bis 2003 war er Mitglied im Rat der EKD. Axel Noack hat maßgeblichen Anteil an dem Zusammenschluss des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR mit der Evangelischen Kirche in Deutschland im Juni 1991. Sein besonderes Engagement galt der Neuordnung der Militärseelsorge im Bereich der evangelischen Kirchen in den neuen Bundesländern sowie der Vereinigung der Kirchenprovinz Sachsen mit der Thüringer Landeskirche zur Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM). Mit einem Festgottesdienst wurde Axel Noack am 7. Juni 2009 im Magdeburger Dom nach zwölfjähriger Amtszeit als Bischof verabschiedet.

Seit dem Wintersemester 2009/2010 unterrichtet Axel Noack an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Am Institut für Bibelwissenschaft und Kirchengeschichte leitet er eine Dozentur für kirchliche Zeitgeschichte und mitteldeutsche Regionalgeschichte sowie die neue "Arbeitsstelle für neuere Kirchengeschichte in Mitteldeutschland".

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