Predigt zum Tag der Deutschen Einheit - Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn - 03.10.25 - Landesbischof Friedrich Kramer
Liebe Schwestern und Brüder aus Ost und West und aus Nord und Süd, und wo immer ihr hergekommen seid, um hier an der ehemaligen Abfertigungsstelle miteinander Gottesdienst zu feiern.
Predigt zum Tag der Deutschen Einheit - Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn - 03.10.25 - Landesbischof Friedrich Kramer
Es gilt das gesprochene Wort.
Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist, der da war und der da kommt, Christus Jesus. Amen.
Liebe Schwestern und Brüder aus Ost und West und aus Nord und Süd, und wo immer ihr hergekommen seid, um hier an der ehemaligen Abfertigungsstelle miteinander Gottesdienst zu feiern.
Vor 35 Jahren, am 3. Oktober, wurde sie vollendet, die deutsche Einheit. Manch einer hat sich Jahre davor das nie vorstellen können, andere haben immer davon geträumt, und viele haben hier an dieser Stelle gelitten, wenn sie in den Osten oder eben auch einfach nur durch nach von Westen nach West-Berlin gefahren sind, pro Jahr 12 Millionen Menschen. Ich traf gestern jemanden, der sagte: „Immer, wenn ich nach Marienborn komme, kommt mich noch der alte Schauer an. Was wird passieren, werden sie mich aus dem Auto rausholen?“ Und meine Tante, die uns regelmäßig aus Wiesbaden besucht hat, ich wohnte im Osten im Greifswald, schmuggelte immer aus Spaß Westgeld, weil sie genau dieses Gefühl liebte. So unterschiedlich war der Umgang.
Was hält uns heute zusammen? Wo stehen wir zusammen? Wir haben gerade das wundervolle Anspiel der Schülerinnen und Schüler aus Helmstedt gesehen. Tja, das „Wir“, gibt es das „Wir“? Was verbindet uns, was macht die Einheit zwischen uns heute aus? Und ist deutsche Einheit angesichts der großen Weltveränderung nicht viel zu kurz gesprungen? Viele Fragen, die sich auftun. Und gut, dass wir uns heute hier treffen, nicht geschichtsvergessen ertrinken in den Fragen bis jetzt, sondern uns erinnern und aus dem Erinnern Hoffnung schöpfen für die Zukunft. Ihr habt den Predigttext gehört, und ich lese uns noch einmal einige Verse daraus, weil ja die spannende Frage ist: Welche Eigenschaften, welche Werte und Gaben brauchen wir denn für die Einheit? Wir könnten jetzt eine Umfrage unter uns machen.
Was ist das Wichtigste für den Zusammenhalt? Und ich weiß nicht, was wir rausbekommen würden, es wäre vielleicht doch relativ vieles Verschiedenes. Hört, was unser Predigttext sagt.
Endlich aber seid allesamt gleichgesinnt, mitleidig, geschwisterlich, barmherzlich und demütig. Vergeltet nicht Böses mit Bösem oder Scheltwort mit Scheltwort, sondern segnet vielmehr, weil ihr dazu berufen seid, auf das ihr Segen erbt. (1.Petrus 3,8f.)
Gott schenke uns ein Herz für sein Wort und ein Wort für unser Herz. Amen.
Liebe Geschwister, wir haben es gerade gehört, Ossi und Wessi. Ich kannte das nicht in der Zeit der DDR. Davor gab es das nicht. Ossi, Wessi - das ist eine Erfindung der deutschen Einheit, und sie hat damit zu tun, dass man plötzlich zusammenkam und merkte, huch, so gleich sind wir gar nicht. 40 Jahre unterschiedliche Sozialisationen machen doch was.
Und wie reagiert der Deutsche gerne? Subtil mit Rassismus. Und Ossi-Wessi, das ist eine klassische rassistische Denkfigur. Als ob, dass ich aus dem Osten komme, besser bin, als ihr, die ja aus dem Westen seid.
Oder du, die du aus dem Westen kommst, besser bist als ich, der ich aus dem Osten komme. Was für eine absurde Vorstellung, dass das Herkommen aus einem Gebiet irgendwie die Wertigkeit bestimme. Absurd.
Aber es war sofort da. Und diese Geisteshaltung ist tödlich und gefährlich. Einheitsvergiftend bis heute.
Und den Rassismus haben wir in den Jahren vor der DDR massiv eingeatmet. Er ist verwurzelt in unserem Denken. Der geht bis ins 19.Jahrhundert zurück und hat mit der deutschen Einheit und dem Deutschsein leider an vielen Stellen viel zu tun. Nicht umsonst singen wir heute nicht „Deutschland, Deutschland über alles“, sondern wir singen die dritte Strophe aus gutem Grund. Weil die Überhebung, dass wir nur, weil wir Deutsche sein, über anderen ständen, absurd, unrealistisch, falsch und mörderisch war.
Aber Ossi und Wessi, plötzlich waren sie da. Ich weiß nicht, wie gerne Sie sich die Witze erzählt haben. Wir haben vorhin zwei gehört.
Ich könnte jetzt noch viele erzählen. Das können Sie nachher beim Kaffee und beim Bier noch mal ein bisschen machen, weil es schön ist, sich von den eigenen Vorurteilen und Bildern zu erzählen und zu merken, man kann mal drüber lachen, aber besser ist es, zusammen zu lachen als über den anderen. Denn wenn du ausgelacht wirst, das verletzt, das schafft Grenzen.
Viele Menschen in unserem Land erleben das gerade jetzt, weil Rassismus wieder neu Urstände feiert in Form von Feindlichkeit über allen Menschen, die Deutsche sind oder nicht Deutsche sind, aber die ein Migrationshintergrund haben. Und das findet in Makroaggressionen, in großer Aggression statt, in dem Menschen wirklich um ihr Leben fürchten müssen. Wir haben es in Magdeburg erlebt:
Ein geisteskranker Mensch mit Migrationshintergrund hat einen Anschlag auf einen Weihnachtsmarkt verübt, und plötzlich trauen sich unsere Geschwister mit Migrationshintergrund nicht mehr auf die Straße, weil sie überall angefeindet werden, als ob irgendjemand von ihnen etwas damit zu tun hätte. Wie schnell ist das wieder da? Wie schnell sind wir bereit zu denken, nur weil jemand anders aussieht, käme er nicht von hier? Und unsere Geschwister, die Migrationshintergrund haben, können Geschichten davon erzählen, viel davon erzählen, wie sie immer gefragt werden: Wo kommst du her? Und sie sagen: aus Helmstedt oder aus Magdeburg. Da fragt man, wo kommst du wirklich her? Ja, ich komme aus Magdeburg und ich komme aus Helmstedt. Aber immer dieses Subtile, du musst doch irgendwie nicht hierher gehören. Doch, ihr gehört vollkommen hierher. Und diesem Rassismus müssen wir widerstehen, wie wir auch dem Ossi und Wessi-Gerede endlich das Ende geben könnten.Heute fangen wir damit an. Schluss damit.
Was sind die Eigenschaften, die uns vereinen können? Da ist zuerst: Seid gleichgesinnt, habt ein gleiches Ziel.
Das ist großartig. Was ist unser Ziel? Wir sind eine völlig diverse Gesellschaft. Die einen wünschen sich eine völkische Gemeinschaft unter Ausschluss aller anderen.
Die anderen wünschen sich einen ökologisch gerechten Umbau ganz schnell, weil die ökologische Katastrophe pressiert und drückt. Die Dritten wollen, dass es so wird wie früher. Und die Vierten wünschen, dass sich endlich mal was ändert und eine neue Gesellschaft in Solidarität und Freundlichkeit miteinander entsteht.
Haben wir ein gemeinsames Ziel? Sind wir gleichgesinnt? Dass im Petrusbrief darauf so eindrücklich hingewiesen wird, zeigt, es ist urmenschlich, verschiedene Ziele zu haben. Und schon die frühen Christen hatten auch wirklich verschiedene Ziele. Und wer das Neue Testament liest, liest überall etwas von Streit und unterschiedlichen Meinungen und Konflikten.
Aber wir müssen uns immer wieder ermahnen, und ein heutiger Tag ist genau dafür da. Wir brauchen ein gemeinsames Ziel. Wir brauchen ein gemeinsames Ziel, eine gleiche Gesinnung.
Denn gerade ändert sich der Sinn unserer Gesellschaft. Er geht weg von Menschlichkeit, von Vertrauen und von Solidarität hin zu Misstrauen, Missgunst und Egoismus. Make Amerika great again, wieder groß, macht Deutschland wieder groß, ist ja nichts anderes als der Satz: Ich, ich, ich zuerst.
Und die anderen sind mir egal. Aber das darf nicht unser Ziel sein. Wir sind ein reiches Land, und die Welt und die Menschen der Welt dürfen uns nicht egal sein, auch die Menschen in unserem Land nicht, sondern wir müssen zueinander stehen und miteinander eines Sinnes sein.
Und dann erklärt der Petrusbrief, wie das geht. Und als erstes steht da: Mitleid. Und das überfordert uns an vielen Stellen.
Denn wenn ich die Nachrichten sehe und manche schauen auf die Tagesschau, andere haben das schon längst abgewählt und sind in anderen Medien unterwegs. Was für Leid sehe ich in der Welt? Und bin ich bereit, mein Herz nicht zu verschließen? Wir sind in fürchterlichen Zeiten. Die Kriege nehmen zu.
Die Flüchtlingszahlen haben sich verdoppelt. 120 Millionen Menschen sind auf der Flucht. Erleben brutalste kriegerische Gewalt. Wer soll das aushalten? Wir dürfen unser Herz und unsere Augen nicht verschließen!
Das Mitleid ist die Grundbedingung für eine gleiche Gesinnung, nämlich dass mein Herz nicht hart ist, sondern ich mit offenem Herzen mitleiden kann. Und wenn wir unser Herz öffnen, dann werden wir weich und können auch unsere Hände öffnen. Seid geschwisterlich gesinnt.
Und das meint nicht nur, dass wir Deutschen Geschwister sind, egal welche Hautfarbe und welchen Herkommens wir sind, welcher Religion wir sind und wo wir herkommen, sondern es meint darüber hinaus, und das ist christliche Urüberzeugung, Geschwister in der ganzen Welt. Die Menschheit ist eine Geschwisterschaft und wir dürfen unser Herz nicht vor dem Leid der Welt verschließen. Seid barmherzig und demütig.
Und dann kommen ein paar Tipps, die für den Umgang miteinander spannend sind und die Sie ausprobieren können. Schon heute, wenn Ihnen ein Witz begegnet, der Ihnen nicht gefällt oder Sie einem Vorurteil begegnen, was Sie aufregt. Ich könnte jetzt gleich anfangen.
Vorhin habe ich gehört, dass die Wahlergebnisse der AfD für den Osten ein Problem seien. Sag ich da als Ostdeutscher interessante Perspektive. Ich habe gelesen, dass in Niedersachsen 400.000 Leute mehr die AfD gewählt haben als im Sachsen-Anhalt. Das sieht prozentual anders aus, das gebe ich gerne zu. Aber zu behaupten, dass die AfD ein Ostproblem sei? Vorsicht, Vorsicht.
Wir haben gemeinsame Probleme. Und zwar jeder Menge. Und gerade die AfD ist eine Partei, die dem neuen Geist entspricht, nämlich des Misstrauens.
Traue niemanden, traue nur dem, was ich sage, sagt die AfD und schüttet den Egoismus nach oben. Nur noch für die Volksgenossen, für die Völkischen soll es sein, für alle anderen nichts. Und wir haben es in Amerika gesehen. Wie es ist, wenn Rechtspopulismus herrscht. Über Nacht wird die soziale Hilfe für die Welt eingestellt. Und auch in unserem Bundeshaushalt sind die Mittel für die Hilfe in der einen Welt runtergefahren worden, weil die Rüstungsausgaben steigen. Wir setzen da andere Prioritäten.
Wie leicht fällt es uns, von 40 Milliarden auf 120 Milliarden zu erhöhen? 60 Milliarden würden ausreichen, um die ganze Welt mit Essen zu versorgen. Dafür geht nie ein Ruck durch unsere Politik. Wahnsinn.
Wir brauchen mehr Barmherzigkeit, mehr offenes Herz. Und jetzt die zwei Tipps für heute. Vergeltet nicht Böses mit Bösen und Scheltwort nicht mit Scheltwort, sondern segnet vielmehr.
Haben Sie das schon mal ausprobiert? Wir sind ja seit vier, fünf Jahren in heftigen Streit in der Gesellschaft. Corona, die Maßnahmen, Ukraine, Krieg, die Waffenlieferungen, jetzt Israel. Wie schnell taucht der Antisemitismus wieder überall auf und feiert Urstände, Scheltworte und böse Rede, wohin man schaut.
Und Sie werden nicht weit gehen müssen, um sie zu erleben.
Haben Sie mal versucht, mit Segen zu reagieren? Eine verrückte Idee, aber ganz jesuanisch. Dem Bösen nicht mit Bösem widerstehen, sondern mit gutem Wort.
Sie müssen allerdings immer erklären, dass Sie Christ sind oder dass Sie es gerade im Gottesdienst gehört haben. Sonst denken die Leute, Sie sind ein bisschen verrückt geworden, wenn Sie jemand beschimpft und Sie mit guten Worten anfangen. Aber genau das ist es, was wir brauchen:
Gute Worte, eine gute Rede, ein Segen. Wie könnte das aussehen, wenn Sie jetzt beim Bier vielleicht jemanden treffen, der ein Vorurteil hat, dass sie ärgert? In meinem Falle kann ich nur sagen, liebe Geschwister aus Helmstedt: Ich segne euch!
Segen, Segen, einander segnen, und dann steht hier die Verheißung: Wenn du segnest, wirst du auch gesegnet werden. Oft haben wir das Gefühl, wenn der andere anfängt, gut zu sprechen, dann bin ich auch bereit, etwas Gutes zu sagen.
Aber so wird es nie. Deswegen musst du anfangen. Du musst anfangen, Rede der Freundlichkeit und ein gutes Wort zu finden.
Und wir haben es vorhin im Text auch gehört: Achte auf deine Lippen, hüte deine Zunge. In einem schönen Brief steht, dass die Zunge bei Menschen so ist wie das Ruder beim Schiff. Wenn du es falsch rumziehst, fährt der ganze Leib, fährt der ganze Mensch in die falsche Richtung.
Darum hüte deine Zunge und achte auf deine Lippen, rede gut. Und hier in Marienborn kann man darüber auch mal über die Keuschheit sprechen, die Keuschheit der Lippen. Probiert es aus, sprecht gut, verunreinigt nicht eure Lippen mit bösen Reden, sondern seid freundlich zu jedermann, seid ein Beispiel für Liebe und Freundlichkeit, auf das Segen erfahrbar wird und sich Segen ausbreitet.
Das Thema heißt aufeinander zugehen heute im Gottesdienst. Wir haben es in einem Lied gesungen, und am Ende heißt es dort, die Welt tritt in den Blick, wir dürfen nicht nur an uns denken. Lasst uns aufeinander zugehen, aufstehen heißt es da. Und ich schlage vor, dass wir, bevor ich das Amen spreche, genau das tun, stehen Sie einfach mal auf und schauen Sie sich mal um.
Jemanden, den Sie nicht kennen, gehen Sie auf ihn zu und sagen Sie: Frieden sei mit dir. Das ist das Segenswort, mit dem wir immer beginnen können. Und ihr habt ein Wort des Segens gesagt und so soll der Segen zu euch kommen.
Seid gesegnet, als die, die Gutes sagen. Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist denn alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.